Bis 1945 war die Bernauer Straße eine lebhafte Wohnstraße mit kleinen Geschäften an der Grenze zwischen den Berliner Innenstadtbezirken Wedding und Mitte. Die nördliche Seite sowie Straße und Bürgersteige gehörten zum Wedding. Die auf der südlichen Seite gelegenen Häuser gehörten zu Mitte. Als die Siegermächte Berlin nach dem Krieg 1945 in Sektoren teilten, wurde die Stadtteilgrenze zur Sektorengrenze.
Dies hatte zunächst noch keine wesentlichen Folgen. Zunehmende Konflikte zwischen den westlichen Alliierten und der Sowjetunion führten in den folgenden Jahren aber auch in Berlin zu einer stetig zunehmenden Trennung zwischen Ost und West. Der Personen- und Warenverkehr an den Sektorengrenzen wurde von der Volkspolizei überwacht. Trotz der Teilung Deutschlands in DDR und Bundesrepublik 1949 konnten die Bewohner der im sowjetischen Sektor gelegenen Häuser der Bernauer Straße jedoch ohne wesentliche Behinderung oder Kontrolle ihr Haus verlassen und damit den französischen Sektor betreten. Dies änderte sich mit dem Mauerbau am 13. August 1961. Türen und Erdgeschossfenster wurden verschlossen, der Zugang war nur noch durch den Hintereingang möglich. Viele Bewohner der Grenzhäuser entschlossen sich unmittelbar nach den Sperrmaßnahmen spontan zur Flucht. Sie seilten sich aus ihren Wohnungen ab oder sprangen aus dem Fenster in die bereitgehaltenen Sprungtücher der West-Berliner Feuerwehr. Einige verletzten sich dabei schwer. Auch die ersten Todesopfer des Grenzregimes waren hier zu beklagen. Wenige Wochen nach dem Mauerbau wurden die Häuser geräumt, die verbliebenen Bewohner zwangsumgesiedelt und Fenster und Türen vermauert. Die Bernauer Straße entwickelte sich so zu einem Brennpunkt der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Folgen des Mauerbaus für die Bewohner der geteilten Stadt wurden hier in besonders brutaler Weise deutlich.
Die Bernauer Straße im Dezember 1962 - Die Fenster der Häuser auf Ost-Berliner Seite sind bereits zugemauert. © 1962 Unbekannter Fotograf Stiftung Berliner Mauer
Die Versöhnungskirche 1962 - Der zugemauerte Zugang zur Versöhnungskirche, die nun im Ostteil der Stadt liegt. Die westlichen Mitglieder der Gemeinde sind nun von den Gottesdiensten ausgeschlossen. © 1962 Ulrich Zimmer Stiftung Berliner Mauer
Die Bernauer Straße auf Höhe der Brunnenstraße - Hinter der Mauer auf Höhe der Poller befindet sich der nun versperrte Zugang zur U-Bahn, Anfang 1960er Jahre. © Michael-Reiner Ernst Stiftung Berliner Mauer
Das Mahnmal für Olga Segler in der Bernauer Straße - Die 80-Jährige stürzte bei einem Fluchtversuch aus dem Fenster ihrer Wohnung ab und starb am folgenden Tag an einem Herzleiden, das sich nach dem Sturz verschärft hatte, Anfang 1960er Jahre. © Michael-Reiner Ernst Stiftung Berliner Mauer
Die Bernauer Straße - Die Bernauer Straße an der Einmündung der Ruppiner Straße, 1961/62 © 1961 Gerhard Ringwelski Stiftung Berliner Mauer
Verstärkung der Mauer - Verstärkung der 1961 errichteten Mauer durch Betonplatten an der Einmündung der Ackerstraße in die Bernauer Straße, 1963. © 1963 Manfred Adamczak Stiftung Berliner Mauer
Aufgrund der spektakulären Fluchtversuche und einiger Todesfälle gelangte die Bernauer Strasse auch außerhalb Berlins zu trauriger Berühmtheit. Vor allem in den 1960er Jahren wurden hier die bekanntesten und erfolgreichsten Fluchttunnel gegraben.
Mit dem Aufbau einer Absperrung aus vorgefertigten Betonelementen, der „Grenzmauer 75“ ab 1975, erreichte die Berliner Mauer auch hier ihre letzte Ausbaustufe. Die Sprengung der Versöhnungskirche 1985, die seit dem Mauerbau unzugänglich im Grenzstreifen stand und von den DDR-Grenztruppen zeitweise als „Wachturm“ genutzt wurde, dokumentierte erneut die zerstörerischen Folgen der Mauer für die Berliner und den Willen der DDR-Führung, das Grenzregime mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten.
Der Mauerverlauf - Der Mauerverlauf an der Kreuzung Bernauer Straße, Schwedter Straße und Oderberger Straße, November 1971. © 1971 William David Owen Stiftung Berliner Mauer
Fassadenreste in der Bernauer Straße - Die Fassadenreste der abgerissenen Häuser an der Bernauer Straße/ Ecke Ruppiner Straße. Sie dienten bis zur Errichtung der Mauer aus Betonfertigteilen als Grenzmauer, August 1980. © 1980 Margret Nissen Stiftung Berliner Mauer
Bernauer Straße und Versöhnungskirche 1978 © 1978 Eckart Wittmann Stiftung Berliner Mauer
Die „Grenzmauer 75“ - Die Bernauer Straße auf Höhe der Bergstraße. In den 1970er Jahren entfernte die DDR die letzten Reste der Hausfassaden und setzte an ihrer Stelle eine „moderne Mauer“ aus Betonfertigteilen, August 1980. © 1980 Margret Nissen Stiftung Berliner Mauer
Der Grenzstreifen - Bernauer Straße, auf Höhe der Ackerstraße. Hinter der Grenzmauer schufen die DDR-Grenztruppen einen beleuchteten Grenzstreifen, der von einer sogenannten Hinterlandmauer in Richtung Ostberlin abgegrenzt wurde, August 1980. © 1980 Margret Nissen Stiftung Berliner Mauer
Die Versöhnungskirche im Grenzstreifen - Die Versöhnungskirche stand seit 1961 im Grenzstreifen. 1985 sprengten die DDR-Grenztruppen die Kirche, um ein freies Schussfeld zur Verhinderung von Fluchtversuchen zu schaffen, August 1980. © 1980 Margret Nissen Stiftung Berliner Mauer
Die Versöhnungskirche im Grenzstreifen - Die Sprengung des Kirchturms der Versöhnungskirche, Januar 1985 © 1985 Unbekannter Fotograf Versöhnungsgemeinde
Mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989 endete auch das DDR-Grenzregime an der Bernauer Straße. Schon in der Nacht vom 10. zum 11. November 1989 wurden zwischen der Bernauer und der Eberswalder Straße die ersten Segmente aus der Mauer gebrochen, um einen neuen Übergang zwischen Ost- und West-Berlin zu schaffen. Auch der offizielle Abriss der Grenzanlagen wurde im Juni 1990 an der Bernauer Straße, Ecke Ackerstraße begonnen. Damit wurde die Straße erneut zum historischen Brennpunkt.
Am 2. Oktober 1990, am Tag vor der Wiedervereinigung, stellte der Ost-Berliner Magistrat den Grenzabschnitt am Sophienfriedhof unter Denkmalschutz. 1994 wurde ein Wettbewerb ausgelobt, der die Gestaltung eines Denkmals für die Opfer des Mauerbaus und in Erinnerung an die Teilung der Stadt zum Ziel hatte. Das Denkmal an der Einmündung der Ackerstrasse in die Bernauer Strasse wurde am 13. August 1998 eingeweiht. Schon 1997 gründete sich auf Initiative des Berliner Senats der Verein Berliner Mauer. Er bildete den Trägerverein des heutigen Dokumentationszentrums im Gemeindehaus der Versöhnungsgemeinde, das zum 10. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November 1999 eröffnet wurde. Das Dokumentationszentrum ergänzt das Denkmal durch Sachinformationen und politische Bildungsarbeit. Im Jahr 2000 erfolgte auf dem ehemaligen Grenzstreifen, am Ort der früheren Versöhnungskirche, die feierliche Einweihung der Kapelle der Versöhnung. Hier wird regelmäßig der Opfer des Grenzregimes gedacht. Der fast vollständige Abriss der Grenzanlagen führte zum paradoxen Ergebnis, dass nur wenige aussagekräftige Anknüpfungspunkte für die Vermittlung der Geschichte von Mauer und Grenzregime erhalten geblieben sind. Das im Jahr 2006 vom Berliner Senat verabschiedete Gesamtkonzept zur Erinnerung an die Berliner Mauer sieht deshalb eine Stärkung der verschiedenen Mauerorte in Berlin vor. Auf Grundlage des Konzeptes beschloss der Senat 2009 die Gründung der Stiftung Berliner Mauer. Im selben Jahr begannen die Arbeiten an der Außenausstellung auf dem ehemaligen Mauerstreifen an der Bernauer Straße. Dieser 1,3 km lange und 4.4 ha große Freiraum wurde zu einer neuartigen Erinnerungslandschaft umgestaltet. Die noch verbliebenen Spuren der Berliner Mauer wurden hierbei erhalten.
Nach dem Mauerfall - Betonelemente der „Grenzmauer 75“ neben dem Postenweg im Grenzstreifen, Juni 1990. © 1990 Margret Nissen Stiftung Berliner Mauer
Nach dem Mauerfall - Postenweg und Lichttrasse im Grenzstreifen. Links die Grenzmauer zur Bernauer Strasse, rechts die Hinterlandmauer nach Ost-Berlin, Juni 1990. © 1990 Margret Nissen Stiftung Berliner Mauer
Nach dem Mauerfall - Blick in die Strelitzer Straße nach Abriss der Mauer. Im Vordergrund der frühere Grenzstreifen, Juni 1990. © 1990 Margret Nissen Stiftung Berliner Mauer
Nach dem Mauerfall - Berliner besichtigen den ehemaligen „Todesstreifen“ an der Bernauer Straße. Im Vordergrund ein Wachturm der DDR-Grenztruppen (Typ BT 9), Juni 1990. © 1990 Margret Nissen Stiftung Berliner Mauer