Klimaschutz trifft Gartendenkmalpflege - „Recycle & Reuse“ war der innovative Ansatz, um eine positive CO2-Bilanz unseres Projektes der Umgestaltung und Sanierung der Gustav-Mahler-Treppe zu erreichen. © 2022 Matthias Dümmer Riehl Bauermann + Partner
Die Eröffnung der Gustav-Mahler-Treppe erfolgte 1964 mit der documenta 3. Das Bauwerk, gedacht als städtebauliche Verlängerung von Friedrichsplatz in die barocke Karlsaue, wurde als Hauptverbindung der Stadt Kassel in den Park projektiert. © 1964 Werner Lengemann Stadtarchiv Kassel
Der wiederhergestellte Platz am Antritt der Treppe, mit dem im Zuge der documenta 6 integriertem Kunstwerk der Architekten- und Künstlergruppe Haus-Rucker&Co. aus dem Jahr 1977. © 2022 Nikolai Benner LOMA architecture . landscape . urbanism
Die Treppenanlage besteht aus einem großen Platz und drei kleinen Plätzen als Podeste mit Aufenthaltscharakter, welche als „Gelenke“ an den Richtungswechseln der Treppenanlage fungieren. © 2022 Nikolai Benner LOMA architecture . landscape . urbanism
Die Gustav-Mahler-Treppe als Denkmal des Brutalismus („Béton-brut Treppe“) bleibt trotz zeitaktueller Hinzufügungen, wie Licht und Orientierungsbänder im Belag als historisches Bauwerk lesbar. © 2022 Nikolai Benner LOMA architecture . landscape . urbanism
Zwischen hellen Bestandsstufen aus Leinekies und den grau-bunten Belägen aus Weserkies wurde ein taktiler Streifen aus hellem Beton eingespannt. Die kontrastierenden Orientierungsbänder optimieren die Erkennbarkeit der Stufenpakete. © 2022 Nikolai Benner LOMA architecture . landscape . urbanism
Ein neuer LED-Handlauf begleitet die südwestliche Treppenseite, abgerückt vom Betonkörper aus Gründen des Denkmalschutzes. © 2022 Nikolai Benner LOMA architecture . landscape . urbanism
Die minimalistische Beleuchtung mit ihrem zeitaktuellen Farbkonzept versucht mit der reduzierten Sprache des groben Betons in Beziehung zu treten. © 2022 Nikolai Benner LOMA architecture . landscape . urbanism
Um den Körper des Betonbauwerks nicht zu tangieren, wurde die neue Beleuchtung als Schicht additiv und somit prinzipiell reversibel an den Treppenverlauf gelegt. © 2022 Nikolai Benner LOMA architecture . landscape . urbanism
Diverse Zeitschichten wurden bearbeitet: die barocke Grundstruktur am Ehrenmal, die Zeitschicht der Bundesgartenschau 1955, der Brutalismus von 1964, sowie die Verbindungen unserer Neuplanung. © 2022 LOMA architecture . landscape . urbanism
Beleuchtung und Möblierung unterstützen die zurückhaltende Formensprache des Gesamtbauwerks. © 2022 LOMA architecture . landscape . urbanism
VERORTUNG UND HISTORIE
Die Gustav-Mahler-Treppe liegt an der Hangkante von Friedrichsplatz in die barocke Karlsaue und wurde als Hauptverbindung der Stadt Kassel in die historische Parkanlage gebaut. Sowohl die barocke Grundstruktur des sogenannten Rosenhangs als auch die Planungen von Hermann Mattern zur Bundesgartenschau (1955) wurden an dieser Stelle von der neuen Treppenanlage radikal überschrieben. Planung und Ausführung erfolgte durch Landschaftsarchitekt Hans-Herbert Westphal, Hannover. Die Treppe wurde seit ihrer Eröffnung zur documenta III im Jahr 1964 baulich nicht verändert und war dem Verfall preisgegeben. Lediglich der Rahmenbau, ein Kunstwerk der Architekten- und Künstlergruppe Haus-Rucker & Co. wurde 1977 im Zuge der documenta VI integriert.
DISKUSSION DER DENKMALWÜRDIGKEIT UND FRAGEN DER ZUKUNFTSFÄHIGKEIT
Im Zuge der Planungen wurde eine intensive Auseinandersetzung ob der Zukunftsfähigkeit der vorhandenen Schichten in der weitläufigen Parkanlage geführt. Kann eine in der breiten Bevölkerung als grob empfundene bauliche Anlage aus billigen Waschbetonplatten überhaupt denkmalwürdig sein? Die zu sanierende gärtnerische Struktur von Hermann Mattern mit seinem lokalen Sandstein und üppigem Pflanzbild stand in der Diskussion der „Béton-brut“-Treppe gegenüber. Die Entscheidung fiel nach langwieriger Abwägung zugunsten von Erhalt und Ertüchtigung der Westphal-Struktur. Gerade die Seltenheit von landschaftsarchitektonischen Artefakten im Entwurfsgedanken des Brutalismus zwischen den Jahren 1960 und 1970 spielten aus Sicht des Denkmalschutzes nun eine Rolle. Die zeitaktuell drängenden Fragen zur CO2-Bilanz von Bauteilen aus Beton und das Denken in Lebenszyklen und Laufzeiten von Betonbauwerken bildeten aus Gründen des Klimaschutzes einen tragenden Baustein in der Debatte. Barocke Grundstruktur, Zeitschicht Bundesgartenschau 1955 und auch die Zeitschicht der Treppe Mitte des 20. Jahrhunderts wurden gleichermaßen als erhaltenswert eingestuft. Die Gustav-Mahler-Treppe konnte nun im Sinne einer Verbesserung von Barrierefreiheit und Lichtführung stimmig aktualisiert werden.
DENKMAL DES BRUTALISMUS UND NEUE HINZUFÜGUNGEN
Im Zuge der Trümmerbeseitigung des Bombardements des zweiten Weltkriegs wurde der Schutt der Kasseler Oberneustadt mittels Loren über die Hangkante verbracht. Die Konstruktion des Betonbauwerks der Gustav-Mahler-Treppe überspannt diesen labilen Horizont aus Kriegsschutt. Die Unterkonstruktion der Treppenanlage mit ihren Stufen, Plätzen und Podesten bestand aus 25 cm Stahlbeton auf 5 cm Magerbeton und 20 cm Kies. Der 1600 m2 große Plattenverband wies unterschiedliche Formate von 100x100 cm, 75x50 cm, 50x50 cm, 50x25 cm und 25x25 cm auf. Durch fehlende Stufenfixierung war die Gangbarkeit der Anlage durch Verschiebungen kaum mehr gegeben. Die oberirdischen Bauteile wurden ausgebaut, gereinigt und im bestehenden Duktus wieder eingebaut. Jeweils die obere und untere Stufenreihe wurde mit dem Betonfundament verankert. Das Ziel war die Wiederverwendung des historischen Materials aus denkmalpflegerischer Sicht mit gleichzeitigem Fokus auf Schonung von Ressourcen. Die CO2-Bilanz der Baumaßnahme konnte möglichst gering gehalten werden. Durch geschickte Wiederverwendung und Anpassungen im Einbau mussten lediglich 200 m2 an Plattenbelägen und 5 m Stufen nachgegossen werden.
BARRIEREFREIHEIT UND BESTANDSERHALT
Um das Bild des homogenen Treppenkörpers aus Waschbeton in seiner Stringenz zu erhalten und gleichzeitig die Anforderungen an Barrierefreiheit zu verbessern, wurde eine Differenzierung in den Oberflächen vorgenommen. Zwischen hellen Bestandsstufen aus Leinekies und den grau-bunten Belägen aus Weserkies wurde ein taktiler Streifen aus hellem Beton eingespannt. Das glatte, kontrastierende Orientierungsband am Anfang und Ende der Stufenpakete optimiert deren Erkennbarkeit.
LICHTKONZEPT UND LICHTHANDLAUF
Das minimalistische Beleuchtungs- und Farbkonzept sah eine Schichtung von Mastleuchten und LED-Lichthandlauf, reversibel gemäß Charta von Venedig, seitlich vom Betonkörper vor.
Juryurteil:
Die Gustav-Mahler-Treppe führt vom Kasseler Friedrichsplatz hinunter in die Karlsaue. Die 1964 zur documenta III fertiggestellte Anlage aus Waschbetonplatten hatte zuletzt einen desolaten Anblick geboten, sie war zudem kaum noch begehbar. In der Stadt wurde lange debattiert, ob die Treppe im Stil des Brutalismus erhalten werden sollte. Immerhin hatte sie seinerzeit die barocke Struktur des Rosenhangs und auch die Gartenanlage von Hermann Mattern, die zur Bundesgartenschau von 1955 entstanden war, geradezu radikal überformt. Für den Erhalt gaben die Seltenheit von landschaftsarchitektonischen Bauten aus den Sechzigerjahren und Überlegungen im Sinne einer nachhaltigen Weiternutzung von Bestandsbauten eine entscheidende Rolle. Es wurde beschlossen, die historischen Platten zu reinigen und soweit möglich wiederzuverwenden, um Anforderungen von Denkmalpflege und Ressourcenschutz zu genügen.
Von dem 1600 Quadratmeter großen Plattenverband mussten lediglich 200 Quadratmeter nachgegossen werden. Um die Sicherheit für die Nutzer:innen der Treppe zu erhöhen, wurde die seitliche Treppenanlage um Leuchten und einen Handlauf (mit LED-Leuchten) ergänzt. Die Jury lobt die Herangehensweise der ARGE aus den beiden Kasseler Büros Loma architecture landscape urbanism und Riehl Bauermann Partner Landschaftsarchitekten, eine Zeitschicht zu erhalten, die in der öffentlichen Meinung oft pauschal als wenig ansehnlich kritisiert wird und deshalb überproportional von Abriss betroffen ist.
Das Ergebnis überzeugt: Zum einen, weil es mit der Substanz des Bestandes vorbildlich umgeht. Zum anderen, weil es vor Augen führt, welche ästhetische Qualität Bauten des Brutalismus entwickeln können, wenn sie gepflegt werden. Die Treppenanlage präsentiert sich mit geradezu skulpturaler Wucht, die bei Dunkelheit durch das Lichtkonzept gekonnt in Szene gesetzt wird. Die Ergänzungen, die das Büro vorgenommen hat, fügen sich zudem harmonisch in das Gesamterscheinungsbild ein.
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Planungsbüros
RB+P Landschaftsarchitektur
Kassel
Mitarbeiter
Entwurfsverfasser:innen Landschaftsarchitektur
Wolfgang Schück, ARGE LOMA architecture . landscape . urbanism + RB+P Landschaftsarchitektur Bauermann Otto Ludwigs Partnerschaftsgesellschaft mbB
LOMA architecture . landscape . urbanism (Leistungsphasen 2 bis 5), Petra Brunnhofer, Ilija Vukorep, Wolfgang Schück
Mitarbeitende
Franziska Marquardt, Sabrina Campe, Anna-Lena Brandebusemeyer
RB+P Landschaftsarchitektur (Leistungsphasen 6 bis 8) Matthias Dümer, Felix Huth
Weitere Planungsbeteiligte
HAZ Beratende Ingenieure für das Bauwesen GmbH, Kassel, Ingenieurbüro für Gebäudetechnik, Oskar Winter, Kassel
Daten CO2-Bilanzierung: Universität Kassel, FB 06 ASL, ATLAS urban mining, Christine Baumgartner, Christina Vaupel
am Bau beteiligte Firmen:
Zedler Baugesellschaft mbH
Projektzeitraum
2018
- 2022
Bausumme
1,3 Mio. Euro
Auftraggeber
Landesbetrieb Bau und Immobilien Hessen (LBIH)
Niederlassung Nord
Leuschnerstraße 75, 34134 Kassel
Nutzer: mhk - Museumslandschaft Hessen Kassel
Adresse
34121 Kassel
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Auszeichungen & Preise
Deutscher Landschaftsarchitektur-Preis 2023
Auszeichnung Historische Anlagen / Gartendenkmalpflege