In der Endphase des Kaiserreiches kulminierte der Wunsch nach gesellschaftlicher Erneuerung in einer Reformbewegung, die auch die Freiraumplanung beeinflusste. Geradlinigkeit und formale Strenge sollten bessere Nutzbarkeit gewährleisten. In der Weimarer Republik verkörperten Freiraumkonzepte im Sinne der Moderne und des Expressionismus ebenfalls die Suche nach neuen Ausdrucksformen und Nutzungsmöglichkeiten. Dominant blieb bei aller Ambivalenz der Strömungen aber das reformgeprägte Gestalten.
1913, zu seinem 25-jährigen Thronjubiläum, ließ Kaiser Wilhelm II. sich als Friedenskaiser feiern. Es war eine der letzten Selbstinszenierungen einer Monarchie, die im mitverschuldeten Inferno des Ersten Weltkrieges untergehen sollte. Die Dekaden um 1900 waren in Deutschland aber auch eine Zeit gesellschaftlicher Erneuerung. Im Vordergrund standen sozialpolitische Überlegungen und der Wunsch eines erstarkten Bürgertums, eigenständigere Entfaltungs- und Ausdrucksmöglichkeiten für ein neues, modernes Lebensgefühl zu finden. Der ersehnte Aufbruch schlug sich vor allem in einer umfassenden Reformbewegung nieder. Für die Gartenarchitektur bedeutete dies eine Abkehr von der „Landschaftsgärtnerei“ im Sinne der Lenné-Meyerschen Schule. Das Abarbeiten aller denkbaren freiraumplanerischen Aufgaben nach den Vorgaben des landschaftlichen bzw. mit historistischen Schmuckelementen durchsetzten „Gemischten Stils“ wurde zunehmend als schablonenhaft empfunden. Schärfste Kritiker waren zunächst vor allem Außenstehende, Künstler:innen und Architekt:innen.
Der Wunsch der Gartenreformer, Freiräume mit unterschiedlichsten Aufgaben wieder funktionaler, einfacher, übersichtlicher und nutzenorientierter zu gestalten, führte zu einer Rückbesinnung auf architektonisch strenge Gartenstile. Exemplarisch dafür steht Marie Luise Gotheins 1913 erstmals erschienene „Geschichte der Gartenkunst“, die nicht zuletzt umfassende Aufarbeitung der formalen historischen Stile sein wollte.
Das Grundlagenwerk erfuhr 1926 eine unveränderte Neuauflage, was dafür spricht, dass auch nach der brachialen Zäsur des Ersten Weltkriegs der reformerische Ansatz zunächst ungebrochen fortwirkte. Volksparks, Sportgelände, Kleingartenanlagen und die Freiräume von genossenschaftlichen Siedlungen wurden überwiegend gemäß der neuen gestalterischen Maxime angelegt. Reger fachlicher Austausch und die hohe planerische Kompetenz städtischer Gartenämter mögen dazu beigetragen haben, dass gestalterische Qualität auch durch eine ausgeprägte Typisierung abgesichert wurde. Der Ansatz war durchgreifend, innovativ, gleichzeitig aber auch so traditionsbezogen, dass er nicht nur im Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik dominierte, sondern auch in der NS-Diktatur nach 1933 „staatstragende“ Gestaltungsrichtung bleiben durfte.
Vielleicht ist diese Tatsache dafür verantwortlich, dass die Beständigkeit reformgeprägten Gestaltens in Werken zur Architektur- und Gartengeschichte oft hartnäckig negiert worden ist. Die Weimarer Republik war geprägt durch Wechselbäder zwischen wirtschaftlicher Depression und Aufbruchsstimmung, zwischen Fatalismus und dem Gefühl, in ein neues Zeitalter einzutreten. Natürlich schlug sich das auch in Architektur und Gartenarchitektur nieder. Reformerisches Gedankengut deckte sich zunehmend mit dem der sogenannten Traditionalisten und blieb faktisch vorherrschend.
Hinzu kam aber nun in der Architektur eine Phase sehr viel entschiedenerer Erneuerung, die in der Lehre des Dessauer Bauhauses gipfelte. Auch in Freiraumkonzepten der 1920er Jahre findet sich immer wieder die klare, kühle Materialität und Formensprache der „Klassischen Moderne“. Überraschenderweise sahen Gärten, die bewusst modernem Lebensgefühl Ausdruck verleihen wollten, oft aber ganz anders aus als erwartet: eher informell und ungeordnet, aber mit Sonnen- und Brausebädern ausgestattet, also eindeutig für eine freie, individuelle Nutzung konzipiert.
Oft vergessen wird schließlich eine weitere Tendenz, die gleichfalls für den Aufbruch dieser Zeit steht und stehen wollte: der Expressionismus, der auch die Gartenarchitektur der Zwischenkriegszeit beeinflusste. Bizarre Formen von Gartenbauten, Ausstattungselementen und ausgewählten Pflanzen prägten Freiraumkonzepte, die durchaus selbstbewusst und innovativ wirkten. Dennoch wurde seinerzeit gerade um diese gestalterische Strömung am heftigsten gestritten, weil ihre Vertreter:innen sie als progressiv und modern verstanden, ihre Gegner:innen aber lediglich als dekorativ. Eine Debatte, die noch einmal die gestalterische und gleichzeitig gesellschaftliche Ambivalenz freiraumplanerischer Trends zwischen Kaiserreich und NS-Diktatur spiegelt.
Autor: Prof. Dr.-Ing. Johannes Schwarzkopf